Interview mit AFOL Grace

Grace

Ich heiße Grace und verwende die Pronomen „sie/er“. Ich definiere mich als transgender und queer. Seit der Teenagerzeit weiß ich, dass ich bisexuell/pansexuell bin, aber erst mit Ende 20 wurde mir klar, was Transgender eigentlich bedeutet. Da wusste ich sofort: Das bin ich auch! Es war, als wäre ich mit einem ganzen Haufen LEGO Steine im Bauch geboren worden und hätte erfolglos versucht, sie zu einem Set zusammenzusetzen. Als mir dann klar wurde, dass ich trans bin, hatte ich endlich meine Anleitung gefunden und verstand, warum ich all die Teile in meinem Bauch hatte und wie sie zusammenpassten.<br>

Ich fing erst im Erwachsenenalter an, mich mit LEGO Steinen zu beschäftigen, und zwar, nachdem ich mit meinen Töchtern THE LEGO MOVIE gesehen hatte. Wir liebten diesen Film! Ich hatte damals mit ernsthaften psychischen Problemen zu kämpfen, und die LEGO Steine gehörten zu den wenigen Dingen, durch die ich noch eine Verbindung zu meinen Töchtern aufbauen konnte. Ich baute sogar noch weiter, wenn die beiden schon ins Bett gegangen waren. So entwickelte sich das Ganze zu einer Art Therapie für mich und war gleichzeitig eine Möglichkeit, um mich kreativ auszudrücken.

Erzähl uns ein bisschen über die AFOL LGBTQIA* Community. Was hat es dir persönlich gebracht, Teil dieser Gruppe zu sein?

Irgendwie gibt es das Vorurteil, dass Leute, die sich als LGBTQIA* outen oder ihr Queersein zeigen, ihre Sexualität überbetonen oder zu freigiebig persönliche Dinge preisgeben. Die meisten Menschen sind nun einmal nur an die Standardeinstellung „hetero“ gewöhnt. LGBTQIA*-Menschen sind aber, wie sie sind, und machen gar nichts falsch. Es ist deshalb wirklich wichtig, geschützte Bereiche zu haben, in denen man ganz man selbst sein kann und keine Angst vor Kränkungen haben muss.

Ich erlebe als Transgender-Mensch viele Missverständnisse und viel Transphobie, sowohl in den Medien als auch in weiten Teilen der Welt. Der Alltag kann sehr hart sein. Im öffentlichen Raum gibt es oft Situationen, die mir Angst machen oder in denen ich mich unsicher fühle. Es ist darum eine große Erleichterung, diese sicheren Räume zu haben, in denen man sein kann, wie man ist. Und natürlich ist es ein toller Ort, um dort Freunde und Verbündete zu finden.

Ich baue häufig LEGO Skulpturen, die meine Lebenserfahrungen widerspiegeln. Oft kreiere ich auch LEGO Kunst, die auf irgendeine Art queer ist. Es gibt mir ein gutes Gefühl, Teil der LGBTQIA* AFOL (Adult Fan of LEGO) Community zu sein, in der meine Arbeiten verstanden werden und in der vielleicht auch meine Erfahrungen geteilt werden. In dieser Gemeinschaft bekomme ich auch Unterstützung, wenn ich meine Werke öffentlich ausstelle und dann mit den unterschwelligen oder offenen Vorurteilen der Leute umgehen muss.

Welche Rolle könnten Unternehmen deiner Meinung nach bei der Unterstützung der LGBTQIA* Community spielen?

Meiner Meinung nach müssen Unternehmen mehr tun, als nur als Sponsoren für große Pride-Events und -Paraden aufzutreten. Natürlich ist es schön, dass sie auf unseren großen Veranstaltungen zu sehen sind, aber meist sind es eher die kleinen Dinge, die zählen. Es entscheidet sich eher im tagtäglichen Miteinander zwischen queeren und nicht-queeren Mitarbeitern, ob wir uns sicher und akzeptiert fühlen oder nicht. Ich sage immer: In der CSD-Woche fühlt es sich immer wundervoll an, queer zu sein, aber das Jahr hat nun mal 52 Wochen. Was könnten Unternehmen tun, damit wir uns auch den Rest des Jahres gut fühlen?

Man muss auch verstehen, dass unser Leben nicht dem typischen Schema entspricht, wie es vielleicht von Unternehmens- oder Kundenseite aus erwartet wird. Nach meiner Transition (Geschlechtsangleichung) waren plötzlich alle meine Job-Referenzen futsch, weil keiner meiner ehemaligen Arbeitgeber mich als die Person kannte, die ich jetzt bin. Wenn man meinen früheren Namen googelte, gab es Tausende Treffer, bei meinem neuen Namen dagegen nur ganz wenige. Das ist einem Unternehmen natürlich nur schwer zu vermitteln, wenn man sich dort bewirbt. Da muss es sich schon um ein besonders aufgeschlossenes und verständnisvolles Unternehmen handeln.

Ich finde auch, dass Unternehmen in Bezug auf die Rechte von LGBTQIA*-Menschen mehr Druck auf Regierungsvertreter ausüben sollten. Als Einzelner findet man kaum Gehör, als Unternehmen hat man aber viel Macht und Einfluss. Ich würde mich freuen, wenn Unternehmen eine Lanze für uns brechen würden, damit wir nicht so hart kämpfen müssen und stattdessen mehr Zeit für unsere LEGO Sets haben.

Auf welche Arten drückst du dich kreativ aus?

Meiner Meinung nach liegt die Aufgabe eines Künstlers oder einer Künstler*in darin, Dinge zu erkennen und weiterzuvermitteln, die andere nur erahnen können. Bezogen auf meine Welt sind das Erfahrungen, Gefühle, Ängste, Leidenschaften und Vorstellungen, die zu uneindeutig sind, um sie anders als durch Kunst zu vermitteln. Mein Ziel ist es, etwas so Flüchtiges wie Gefühle durch ein Kunstwerk im wahrsten Sinne des Wortes greifbar, fassbar zu machen, damit man sie verstehen kann. Ich möchte, dass die Leute sich meine Arbeiten ansehen und dabei dasselbe fühlen, was ich gefühlt habe. Jeder Mensch lebt in seiner eigenen kleinen Welt. Im Laufe unseres Lebens lernen wir vielleicht ein Dutzend Menschen wirklich gut kennen, die restlichen Hunderte oder Tausende nur sehr oberflächlich. Ich möchte, dass die Leute einen Moment lang innehalten und tief in meinen Kopf und mein Leben eintauchen. Ich reiße all meine inneren Mauern nieder und erlaube den Menschen einen direkten Zugang zu meinen intimsten Erlebnissen. Das kann verstörend sein, doch es ist auch eine eindringliche Erfahrung, die Empathie fördert und hoffentlich die Weltsicht des Betrachters erweitert.<br>

Was bedeutet dir der Pride Month, und wo und wie feierst du ihn dieses Jahr? 

Ich habe mich beim CSD in meiner Heimatstadt immer persönlich engagiert. Wegen der Pandemie und meines Umzugs kann ich den CSD dieses Jahr aber leider nicht so feiern wie sonst. Wahrscheinlich werde ich nur virtuell mit engen Freunden und meiner LEGO Gemeinschaft feiern. Weil sich mein Partner in unserer lokalen CSD-Gruppe engagiert, werden wir wahrscheinlich an ein paar lokalen Online-Veranstaltungen teilnehmen und vielleicht sogar ein paar Süßigkeiten an unsere Nachbarn verteilen.